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Von Scharlatanen, Schurken und Schamanen
Ein Trip durch die Welt ins Ich
von Tobias Tripler

Kaleidoskop an Leseproben zu "Von Scharlatanen, Schurken und Schamanen":

...Irgendwie ist mir, das ganze Kapitel schon nicht ganz klar, in welcher Zeitebene ich mich gerade bewege. Eigentlich berichte ich aus einem vergangenen Jetzt, als die Krankheit unleugbar an Dominanz gewann. Da legte Anette den Grundstein zu diesem Buch mit ihrer Bandaufzeichnung in der Küche in Kalk. In diesem vergangenen Jetzt rekapitulierte ich die vorangegangenen Ereignisse, um einen Ankerpunkt zu finden, mit dessen Hilfe ich den Sturm der aufbrausenden Krankheit würde überstehen können.
Aber das Jetzt, mein wirkliches, jetziges Jetzt, jenes, während dessen ich das alles notiere, dieses Jetzt drängt mehr und mehr in den Vordergrund. Machtvoll drängt es, ungestüm und ungeduldig, wie ich selbst. Dabei habe ich doch noch gar nicht genug erklärt, als dass jemand dieses, mein jetziges Jetzt, jetzt schon verstehen könnte. Natürlich will ich von meiner Wunderheilung berichten. Aber wenn ich jetzt schon preisgäbe, dass der Mann, der diese Heilung herbeiführte...
Nein, ich muss mich zurückhalten. Ich darf das Haus nicht mit dem Dach beginnen. Ich muss verhindern, dass die Esoteriker in Scharen zu dem Mann fahren und dort alles verderben. Ich will dafür Sorge tragen, dass jeder durch meine Geschichte erkennt, dass er selbst alle Möglichkeiten besitzt, der Hirte zu sein, statt sich fortwährend wie ein Schaf in der Herde zu verhalten. Gleichzeitig will ich erreichen, dass die ablehnenden Skeptiker begreifen, dass es mehr geben kann, als eine trostlose, rein mechanische Welt. Wenn man sich das nur wünscht. Hätte ich doch besser noch gar nicht die Wunderheilung erwähnt, denn die Skeptiker werden damit meine Geschichte als esoterischen Quark abtun und dürfen beruhigt mit dem Geldscheffeln fortfahren. Und die Esoteriker? Sie werden sagen, dass einer, der seinem Guru in einem Buch so wenig Raum einräumt, kein rechtschaffender Gläubiger ist und werden mich verteufeln.
Aber ich werde keinen Satz streichen. Dies ist eine wahre Erzählung, so wahr ich bin, und ich weigere mich, das alles zu einem Machwerk zu verstümmeln. Nichts geschieht zufällig und der verhängnisvolle Satz ist nun einmal da. Lieber vergammelt das Manuskript in meiner Schublade.

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Da hätte ich mich doch glatt von den Verlagsabsagen frustrieren lassen, ja hätte deswegen fast aufgehört zu schreiben.
Die Lektoren meinen, das sei ja alles ganz nett, was ich da schreibe, aber leider, leider passt es in keine Kategorie. Ist eben nicht ein VERKAUFSTRÄCHTIGER esoterischer Erweckungsbericht (wo man den Guru OBENDREIN als Schlüsselanhänger vermarkten kann), noch ist es Reiseliteratur und eben auch kein seichter Roman. Ist eben alles drei, untrennbar wie das Leben.
Aber angeblich wollen Leser klare Kategorien. Punkt.
Davor graut es mir. Vor dem stumpfen Fernsehkonsument, der zur immer gleichen Hollywood-Geschichte auch noch die Werbeunterbrechungen SELBST fordert.
Kategorien. Kein Detektiv auf der Suche nach dem Mörder.
Kein wirklich lenkender Lehrer, der einen Schüler an der Nase herumführt.
Keine Geheimgesellschaft hinter einem geheimen Lehrplan. Keine Außerirdischen. Nichts als ein stolpernder, strauchelnder Egozentriker in einer unerklärten Welt, der nicht müde wird zu verkünden, dass es die Hoffnung ist, die Fähigkeit zu Utopien, die uns von den Tieren unterscheidet.

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...Kaum waren wir die kleine Treppe hinab gestiegen und durch die quietschende Tür eingetreten, prallte mir auch schon behagliche Wärme entgegen und durchströmte mich augenblicklich. Ein sonderbar süßlicher Geruch lag in der rauchigen Luft, überall brannten Kerzen. Stark rußende Öllampen hingen vereinzelt an den Wänden und trugen mit den Kerzen und den orange im Halbdunkel glimmenden Räucherstäbchen zu einer nie gekannten Geruchsattacke bei. Zunächst nur flach atmend sah ich mich verstohlen um. Nirgendwo schien es elektrische Beleuchtung zu geben. Der ganze, knapp zehn Meter lange Raum war in dieses ungewöhnliche Lichtspiel getaucht und wirkte dadurch anheimelnd und beunruhigend zugleich. Die niedrige Decke war aus speckig schwarzen Backsteinen, unter deren fettigem Ruß hier und da noch das einstige Braunrot hervorlugte. Wie in einem Weinkeller war sie von der linken zur rechten Wand leicht gewölbt. Die Seitenwände waren ebenfalls aus Backstein, noch deutlich heller schimmernd als die Decke, die an ihrer seitlich tiefsten Stelle gerade mal ein, zwei handbreit höher war, als Norberts Kopf. Anscheinend befand ich mich in einem uraltem Gemäuer.
Norbert hatte wohl gemerkt, dass ich von dem Ambiente sichtbar angetan war. "Das alte Katmandou!" flüsterte er und zwinkerte mit seinen schmalen Augen. Norbert fragte dann den Kellner etwas, das ich aber nicht hören konnte, denn direkt über mir an der Decke hing ein Lautsprecher, aus dem ein Song von den Doors hervorschepperte. Der Klangqualität nach zu urteilen hatte man das Tape seit den Sechzigern wieder und wieder bis nahezu zur Unkenntlichkeit abgenudelt. Wie überhaupt hier ein völlig originärer Zustand erhalten geblieben schien in dieser, ja, wie sollte man das bezeichnen? Spelunke, jawohl, das war´s. In dieser Spelunke war es 1967, mein Geburtsjahr.

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...Ich dachte an den Silberschmied. Bei ihm hatte ich einen ganzen Nachmittag mit Chai und Keksen verbracht, ohne dass wir wirklich auf die zu verhandelnden Preise zu sprechen gekommen wären. Zwar hatte er mal kurz gesagt: "Auf keinen Fall weniger als soundsoviel", auch nicht, wenn ich wirklich bereit sei, einhundert Ringe zu kaufen. Mehr aber hatten wir nicht über das Geschäft gesprochen.
Stattdessen quatschten wir von seiner Familie, meiner Familie, Gott und der Welt, während seine Frau immer wieder Kekse und Kuchen brachte. Plötzlich platzte ein gehetzt wirkender junger Mann, offenbar ein Amerikaner, in die entspannte Atmosphäre. Grüßte nicht und schnitt mich mitten im Satz ab. "Das da, wie viel?" quetschte er hervor und zeigte auf ein sehr schönes Lapislazuli Collier im Aushang, nach dessen Preis ich eingangs auch gefragt hatte. Ich war erbost, dass der Schmied nun nur knapp die Hälfte verlangte, woraufhin der Typ gleich kaufte "behalt das Wechselgeld" keuchte und verschwand. Ich war ebenfalls bereits im Gehen begriffen. Weil er mich offensichtlich verscheißern wollte, fauchte ich, schließlich hätte er mir das Doppelte abverlangt. Der verschmitzt grinsende Mann mit seinem schon leicht gebeugten Rücken beschwichtigte mich. Er sei doch den ganzen Tag über in diesem Laden, fing er an. Das sei sein Leben. Spaß mache doch da nur, mit anderen Menschen Kontakt zu haben. Der Kerl eben, der habe unser schönes Gespräch gestört, er habe ihn los sein wollen. Ein überhöhter Preis hätte es freilich auch getan, gestand er ein, aber er müsse natürlich auch an seinen Umsatz denken. Ich verstand.
Vor meinen Augen erschien die bemitleidenswerte Verkäuferin im heimischen Aldi. "Zehnmarkdreiund-fünfzig. Danke." Kein Austausch, kein Blickkontakt, nichts. Ein menschlicher Roboter. Feilschen, eben nicht bloß eine lästige Sache, sondern eine wunderbare Form der sozialen Interaktion.

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...Ja, jetzt sah ich ihn wieder vor mir, diesen Jesus Freak mit seinem blutroten Seidenstirnband, der immerzu den Strand entlang pilgerte und jedem seine Geschichte aufdrängte. Nämlich, ließ er uns wissen, unmittelbar nachdem er sich zu uns an den wackeligen Bambustisch gesetzt hatte, dass wir alle auf einem Irrweg ins Verderbnis waren, wenn wir nicht endlich unsere eigene Göttlichkeit erkennen würden. Jesus habe nämlich nicht nur `Seid fruchtbar und mehret euch´ gesagt, versicherte er mit beschwörerisch aufgerissenen Augen, der Rest der Botschaft sei einfach nicht überliefert worden. Und das aus gutem Grund, wie er meinte. Eindringlich stierte er zu uns herüber. Dann setzte er an, uns seine Version zu präsentieren. Dass nämlich die Machtinteressen des Klerus eine hierarchische Struktur gefördert hätten, wo doch der wahre Messias von einer Lehre der Gleichen gesprochen habe.
Woher er das denn nehme, wollte ich wissen. Seinem Argument, dass es trotz all den Verstümmelungen doch immer noch heiße, dass wir `Gottes Kinder´ waren, Jesus demnach also doch mein Bruder und nicht mein Vorgesetzter sei, konnte ich auf Anhieb nichts entgegen setzen. Wollte es auch nicht, denn zu gut passte seine Interpretation zu meinen eigenen Überlegungen und zu meinen Erlebnissen im neurologischen Kosmos.
...
Denn recht hatte er ja. Alles Übel der Welt entsprang Hierarchien, die auf Angst basierten. Der ängstliche Mensch (und nur der ängstliche Mensch) war regierbar, weil er glaubte, denen da oben nicht ebenbürtig zu sein. Deshalb schürten alle Hierarchien Angst und förderten Unterwürfigkeit. Wie auch sonst wäre es zu erklären, dass ein Soldat auf Befehl verlässlich auf einen wildfremden Menschen schießen würde?
...
"Und Du, junge Frau", sagte er noch zu Anette mit erhobenem Zeigefinger, "musst noch den Unterschied zwischen Hoffnung und Erwartung lernen. Ohne Hoffnung gibt es keine Zukunft, ohne Erwartung kein Leid."

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Wobei, wenn ich es mir recht überlege, immer noch habe ich meinen Preis. Insoweit müsste ich Jaqueline, die offensichtlich auch Raum in diesem Buch beanspruchen wird, Recht geben. Bei Hunderttausend in bar (So viel dürfte der Kaufkraftwert meines Geldbeutels für den Jungen ausgemacht haben!), da würde ich vielleicht denken, dass der Mensch, der so was liegen lässt, gut und gern fünftausend abdrücken könnte. Bei einer Million, ich würde nicht beschwören wollen, dass ich die nicht doch gegen gutes Karma einzutauschen bereit wäre und einfach Richtung Malediven davonflöge. Ich bin eben kein heiliger Mann und beabsichtige nicht, in einem Wettrennen darauf zu zuhasten. Go with the Flow. Ich bin immer noch käuflich.
Besser, ich gebe das zu, statt mir vorzumachen, auf einer höheren Position zu stehen und am Ende doch zu bleiben, was du bist, ein skrupelloser Egoist. Nur in der gnadenlosen Selbsterkenntnis kann der Keim zur hoffnungsfrohen Zukunftsentwicklung der Menschheit bestehen. Nicht im Wischiwaschi-ach-bin-ich-erleuchtet-wegen-meiner-tollen-Kutte-Gehabe irgendeines Kultes, dessen Mitglieder durch Äußerlichkeiten inneres Leer zu überdecken suchen.

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...Übrigens ein klassischer Mechanismus menschlichen Denkens: Es wird einfach übergangen, was als Bedrohung eingefleischter Konzepte empfunden wird. Das Hirn kann die Wahrnehmung derart steuern, dass sich die ursprüngliche Ansicht ohne viel Aufwand durch verdrehte Beobachtungen bestätigt. Selbsterfüllende Prophezeiung nennt man das.
Die Geschichte der Wissenschaft ist voll von solchen kollektiven Psychosen, wo eine neue Entdeckung einfach verteufelt wird. Damit man bloß nicht zugeben muss, dass man sich geirrt hat. Was macht uns denn so schwach, dass wir eine solche Arroganz als Bollwerk um uns bauen?
... Auch heute ist es für mich noch oft so, dass erst im Rückblick auffällt, wenn es mir mal wieder gelungen ist, eine eigene Projektion zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden zu lassen. Ich bin weit entfernt von Perfektion und lebe gut mit der daraus resultierenden leicht demütigen Haltung, denn sie macht mich, wenn schon nicht frei, so doch flexibeler. Ohne diese Einsicht säße ich ja heute nicht hier, gesund und munter und schriebe auch nicht diesen Satz.
...Womit vorweggenommen sei, dass ich heute, wenn auch noch immer ohne Glauben an einen kosmischen Plan, so doch um so inbrünstiger an die `Evolution des menschlichen Bewusstseins´ a lá Ouspensky oder Wilson als einzig probates Mittel zur Lösung der drängenden Probleme glaube. Auf die Evolution... hoffe, muss es heißen. Glauben ist borniert.

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...Ich versuchte mir vorzustellen, wie so ein Mann vom Berg herabsteigt und sich irgendwo in einer Stadt, Düsseldorf drängte sich auf, ja genau, in Düsseldorf auf der Kö! Da würde er auf einem der eisernen Geländer sitzen und die Leute beobachten. Leute wohl gemerkt, nicht Menschen, die da an ihm vorbeihasteten, mit ihren Wichtiggesichtern, hinter denen sie immer etwas zu verbergen hatten. Sei es auch nur gähnende Leere.
Wissend und mehr und mehr zufrieden lächelnd würde er sie mit seinem prüfenden Blick mustern, um sich dann bedächtig den Kopf wiegend zu versichern, für sich selbst die richtige Wahl getroffen zu haben. Während er insgeheim vielleicht sogar wünscht, wenigstens eine jener vorbeihuschenden Gestalten möge doch bemerken, dass sie nie je eine Wahl getroffen hatte. Dass all diese scheinbaren, angeblich unüberkommbaren Schwierigkeiten doch nichts weiter sind, als eine selbstgemachte Illusion, weil wir immer und immer wieder uns selbst gegenüber behaupten, keine andere Wahl zu haben. Das ganze Leben so schön statisch kontrolliert von Sachzwängen, igitt, das Wort stieß mir sauer auf. Kühlschrank randvoll, Miete bezahlt, Urlaub gebucht - man vergleiche das mal mit Moossuppe -, wer da von Sachzwängen spricht, ist ein Lügner oder ein Idiot. Eher beides.
Sachzwänge, nie wieder würde ich diese Worthülse als Rechtfertigung akzeptieren können, dachte ich. Dieses missbrauchte Wort, weil es uns so schön freispricht von der drückenden Last der Verantwortung. Davor verstecken sie sich, genau, vor der Verantwortung. Hinter ihren Masken!

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... Es war wie im Mittelalter, da noch Geschichtenerzähler durch die Lande streiften. Koh Phangan vor dem Siegeszug der furchtbaren Videobildschirme.
Gebannt hing die Menge an seinen Lippen, folgte jeder Nuance der sich mehr und mehr ins Abstruse steigernden Erzählung. Dass da nach und nach klar geworden sei, dass der Tempel in seinen verschiedenen Räumen die gesamte Menschheitsgeschichte, ach was, Erdgeschichte, enthalte, wie ein Lexikon. Wie er und seine Leute sich verzweifelt wehrten, gegen die Versuche von Vatikan, CIA und weiß der Teufel wem noch, den geheimgehaltenen Platz ausfindig zu machen. Denn die wollten doch das Werk nur zerstören, denn damit sei ja sonst bewiesen, dass ihre Version der Realität und der Geschichte nicht stimmte. Aber er habe es mit eigenen Augen gesehen, dieses Relikt aus der Zeit von Atlantis, da sei alles, wirklich alles drin.
Seine Aufgabe sei es nun, für die notwendigen Geldmittel zu sorgen, damit endlich der vermutlich letzte Raum, die Gegenwart, in mühevoller Kleinarbeit exkarviert werden könne. Und so weiter.
So durchgeknallt war der gar nicht, schätzte ich auf dem Weg zurück zu meinem Bungalow. Mit zwei Stunden Arbeit die Woche, sagen wir mal, jeder zweite gab nur so wenig wie ich, und die anderen gar nichts, da kam trotz allem genug zusammen, um das ganze Jahr irgendwo oben auf dem Plateau der kleinen Insel im Dschungel in seiner Bambushütte zu hausen und sich Geschichten auszudenken. Nebenher kaufte er allerdings noch gestohlen gemeldete Travellerschecks für dreißig Prozent des Nennwertes. "Wir brauchen alles, was wir kriegen können", teilte er mir mit. Wie gesagt, der war gar nicht so durchgeknallt.

Der Typ in Goa, von dem ich eigentlich berichten wollte, der begegnete mir vor der bereits erwähnten ominösen Party, bei der ein von allen ehrfurchtsvoll `Acid-Erick´ genannter Althippie an gut zweitausend Leute kostenlosen LSD-Punch verteilte. Davon aber später.

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... Natürlich heißt weder der Jompson `Jompson´ noch der Everest `Everest´. Das sind nur die eher willkürlichen Namen aus der Zeit arroganter Kolonialisten. In der Vorstellungswelt der Nepalis hat jeder Berg seine spezielle Bedeutung. Animistische Ideen, also die Gleichsetzung eines Berges mit einer personifizierten Naturgewalt, fließen hier mühelos zusammen mit der Mannigfaltigkeit des hinduistisch und tibetobuddhistischen Pantheons. Um sich interessanterweise in synergetischer Symbiose letztlich mit modernen Konzepten wie dem Umweltschutz zu assoziieren. Denn bis heute ist es von der Regierung noch niemand genehmigt worden, den Machapuchare (den wir lieblos `Fishtail´ nennen, weil er von einer Seite aufgrund seines Doppelgipfels tatsächlich ein bisschen wie ein Fischschwanz aussieht) zu besteigen. Gegen eine finanzstarke Bergsteigerlobby, die ach so gerne auch diesen jungfräulichen Berg `bezwingen´ möchte. (Mein Mitgefühl den bedauernswerten Gemahlinnen der Männer, die solches Vokabular zur Beschreibung ihrer Sportart verwenden.)
Wer mal die Müllberge gesehen hat, die eine einzige der unzähligen Gipfelstürmerattacken hinterlässt, wird seine Meinung über die propagierte Reinhold-Messner-Idylle gehörig ändern und sich mehr oder minder meiner annähern: Nämlich das Bergsteigen eine widerliche Freizeitbeschäftigung für Geistesgestörte ist. Da werden Tonnen an Material von krummgebeugten Sherpas ins Gebirge getragen und alles, wirklich alles, was man für dieses zweifelhafte Vergnügen braucht, Zelte, Spezialnahrungsverpackung aus Alu und Plastik, ganze Gaskocher, neuwertige Schlafsäcke, einfach alles bleibt dann dort liegen, wo es zuletzt benutzt wurde. Man kommt ja auch nur höchst unwahrscheinlich ein zweites Mal, ist ja schon auf dem Weg, die nächste Jungfrau zu bezwingen.

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... Da saß rechts von meinem Eselspfad, leicht bergan, erhöht auf einem grauen Fels unter majestätischen Pinien, ein wunderliches Wesen. Nackter Oberkörper, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, die Beine zum Schneidersitz gekreuzt, aufrecht, wie eine Statue. Kaum fünfzig Meter weg von mir und doch so unendlich weit entfernt. Seine lange Mähne geschmeidig über die Schultern nach hinten gleitend hatte es sich wohl gesonnt und gar nicht bemerkt, dass die Sonne bereits verschwunden war. Ich selbst hatte mir gerade meinen zweiten Wollpullover übergezogen und die Mütze aufgesetzt, es war ja schließlich säuisch kalt und der raue Wind schwoll von Minute zu Minute an. Wieso ich da eigentlich nicht gleich geschaltet und die Besonderheit des Mannes und der Situation erfasst habe, heute ist mir das schleierhaft. Ich war völlig gefesselt im verstockten Materialismus meines Schulweltbildes. Einen anderen als mich selbst würde ich bei derart ignoranten Verhalten am treffendsten als bornierten Hornochsen bezeichnen.
Wer nicht an Wunder glaubt, der kann auch keine sehen. Also habe ich mich auch nicht weiter gewundert, sondern fand den Mann, ob seiner außergewöhnlichen Haartracht und Pose, ein gelungenes Fotoobjekt.


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