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Die Geschichte des Teufels
Von den Anfängen der Zivilisation bis zur Neuzeit
von Paul Carus

Auszug aus Kapitel 2 - Teufelsverehrung:
Beim Studium der in den Werken von Waitz, Lubbock und Tylor enthaltenen Abhandlungen über den Urzustand der Religion drängt sich dem Studenten der Dämonologie der Eindruck auf, dass der Verehrung einer gütigen und moralischen Gottheit grundsätzlich eine Phase der Teufelsverehrung vorausgehen müsse. Zumindest gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen sich ein Übergang vom niederen Stadium der Teufelsverehrung hin zum höheren Stadium der Gottesverehrung vollzieht, und von der Regel, dass Angst stets den Initialfunken für religiöse Verehrung darstellt, scheint es keine Ausnahme zu geben. Aus diesem Grunde ist es stets der Teufel, d. h. eine mächtige böse Gottheit, die sich in der entferntesten Vergangenheit nahezu jeder Glaubensrichtung ans Licht schält. Dämonenverehrung oder Teufelsanbetung bilden das erste Stadium der Entwicklung religiösen Glaubens, denn das Böse ist es, was wir fürchten, nicht das Gute. ...

... Von Menschenopfern ist auch in der Bibel häufig die Rede. So lesen wir vom König von Moab, als die Kinder Israels ihn schwer bedrängten, folgendes: "Da nahm er seinen erstgeborenen Sohn, der an seiner Statt König werden sollte, und opferte ihn zum Brandopfer auf der Mauer." (2. Kön., 3, 27). Durch diese grausame Vorgehensweise gelang es ihm, die Stadt zu retten, denn im biblischen Bericht heißt es weiter: "Da kam ein großer Zorn über Israel, so dass sie von ihm abzogen und in ihr Land zurückkehrten."
Die Propheten predigten in einem fort gegen die heidnischen Praktiken jener Israeliten, die - in Anlehnung an die Religion ihrer Nachbarvölker - danach trachteten, "ihre Söhne und Töchter den Teufeln zu opfern" oder "sie durch das Feuer des Moloch schickten, auf dass sie von ihm verschlungen wurden"; doch nicht weiter von den Vorstellungen jener unzivilisierten Völker entfernt war auch die reinere Religion Israels, wenn Jeftah unbeirrt daran glaubte, Gott habe von ihm verlangt, "sein Töchterchen als Brandopfer darzubringen" (Ri. 11, 29 - 40).
Auch in den Legenden der zivilisiertesten Völker der Welt zeichnen sich Spuren einer Frühperiode religiöser Entwicklung ab, während der man den Zorn der Götter durch Menschenopfer zu beschwichtigen versuchte. Als Athens Glanzzeit an ihrem Höhepunkt angelangt war, berichtete Euripides in einem seiner Dramen vom tragischen Geschick der Polyxena, die auf dem Grab des Achilles geopfert wurde, um auf diese Weise den Geist des toten Helden zu besänftigen und die gefahrlose Rückkehr der griechischen Armee zu sichern.
Zivilisatorischer Fortschritt führte zu einer Wandlung, wenn auch nicht zu einer unmittelbaren Abschaffung des Brauches, Menschen zu opfern. Bei fortgeschrittenen Urvölkern und auch während der Morgenröte einer höher entwickelten Zivilisation stoßen wir auf Praktiken, bei denen das Opfer - ein Kind, eine Jungfrau oder ein Jugendlicher - dargebracht wurde, ohne getötet zu werden, und die Chance hatte, mit etwas Glück oder durch eine waghalsige Tat sein Leben zu retten. Spuren jener Vorgehensweise finden sich in den Erzählungen von Perseus und Andromeda, von Palnatoke dem Schützen, der - wie Wilhelm Tell - einen Apfel vom Kopf seines Kindes schoss, von Susano, der - in der japanischen Folklore - die achtköpfige Schlange tötete, die alljährlich eine der Töchter eines armen Bauern verschlang, und ähnliche alte Legenden. Um die gleiche Zeit wurden Menschenopfer durch Tieropfer ersetzt, was aus zahlreichen religiösen Legenden hervorgeht. So tötete man eine Hirschkuh anstelle von Iphigenia, und einen Widder anstelle von Isaak.
Menschenopfer sind eins der Hauptmerkmale von Teufelsverehrung, jedoch nicht das einzige. Darüber hinaus existieren weitere teuflische Praktiken, die auf der Vorstellung gründen, die Gottheit erfreue sich daran, bei Quälereien zusehen zu dürfen. Der Gipfel an Abscheulichkeit ist der Kannibalismus, der - wie die Anthropologie uns lehrt - nichts mit Nahrungsmangel zu tun hat, sondern stets auf einen religiösen Aberglauben zurückzuführen ist, namentlich auf die Vorstellung, dass jemand, der das Herz oder Gehirn seines Gegners verspeist, sich auf diese Weise den Mut, die Stärke und weitere Tugenden des Getöteten zu Eigen machen könne.
Die letzten Überbleibsel einer Vorstellung, derzufolge der Zorn der Gottheit mit Blut besänftigt werden müsse und man sich geistige Kräfte durch den Verzehr von Fleisch und Blut des Opfers aneignen könne, sind auch heute noch in den mittelalterlichen Auslegungen verschiedener Kirchendogmen präsent und werden erst dann verschwinden, wenn der Lichtkegel einer furchtlosen und konsequenten religiösen Erneuerung auf sie fällt. Wir sollten jedoch bedenken, dass während der Frühstadien religiöser Menschheitsentwicklung gewisse Formen des Aberglaubens ebenso unvermeidlich sind wie die zahlreichen Irrtümer, die auch von der Wissenschaft und der Philosophie auf ihrem Entwicklungsweg immer wieder begangen werden.


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